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KULToUR Nr.2: B – wie Buch(drucker)stadt Leipzig

Zugegeben: Hier musste bei der Betitelung etwas gemogelt werden.

Buchstadt ist Leipzig erst seit dem 19. Jahrhundert. Buchhersteller- und druckerstadt schon viel länger, nämlich seit die Mönche per Hand (!) in ihren Scriptorien wissenschaftliche Werke, z.B. aus dem alten Griechenland und Rom abschrieben, Texte selbst verfassten und so zur Verbreitung von z.B. medizinischem, biologischem, physikalischem, astronomischem, philosophischem Wissen beitrugen. Erst später begann man Buchseiten im Hochdruckverfahren zu drucken – zunächst als ganze Seiten, die aus einem Holzdruckstock geschnitten wurden, dann, ab etwa 1450, mit beweglichen austauschbaren Lettern, und es konnten viele Exemplare von einem Druckstock in einer Auflage gedruckt und auch verbreitet werden. Die erste Medienrevolution! Z.B. Luther nutzte das neue Verfahren zur Verbreitung seiner reformatorischen Ideen.

Dienstag, 25.10.2022. Herbstferien. Wieder 7: 42 Uhr ab Jessen Hauptbahnhof. Mildes Herbstwetter. Hohe Luftfeuchtigkeit.

Acht Schülerinnen des Gymnasiums Jessen auf dem Weg nach Leipzig, in Begleitung von Herrn Letz, Frau Frenzel, zwei weiteren Erwachsenen und Frau Pahlow.

Das Ziel war die Buchstadt Leipzig mit ihren zahlreichen Museen, interessanter Architektur aus der Zeit der Renaissance bis zur Gegenwart, der Messe, der Kunst, der Druckereien, dem Zoo u.v.a.m.

Nach zweistündiger Zugfahrt und einem kurzen Imbissstopp auf dem Leipziger Hauptbahnhof ging es weiter mit der Straßenbahn zum Johannisplatz und dem sich dort befindenden Grassimuseum, in dessen Gebäude drei eigenständige Museen angesiedelt sind: Das Musikinstrumentemuseum, das Ethnologische Museum und das Museum für Angewandte Kunst, welches wir zu erkunden begannen.

Schon der Treppenaufgang zum ersten Ausstellungsaal empfing seine Gäste mit meterhohen imposanten Art-Deco-Fenstern. Wir schritten die Treppen hinauf – normales Gehen verbot sich aufgrund der eleganten Gestaltung dieser Treppen.

In der ersten Etage öffnete sich ein ausgedehntes Foyer, von dem aus wir den ersten Ausstellungssaal betraten. Vier Damen empfingen uns: Die erste war sehr lebendig und wollte unsere Eintrittskarten sehen, die anderen drei elegant gekleideten Damen standen in der Mitte des großen Raumes, bewegten sich nicht, da es lebensgroße plastische Bildwerke waren.

Schon dieser erste Raum zwingt seine Besucher durch die Fülle an tönernen Gefäßen und Kleinplastiken und Metallarbeiten aus dem alten Ägypten, Babylonien, Griechenland und Rom hinter Glas, sich sehr lange der Betrachtung hinzugeben. Wie genau und fein diese Menschen schon vor 6000 Jahren arbeiten konnten! Wie lebensecht die Körper der Dargestellten wirken! Wie eindrucksvoll Schmerz und Freude gezeigt werden!

Von einem zum nächsten, noch interessanteren und kunstfertigeren Ausstellungsstück erst schauend, dann gehend, bewegten wir uns scheinbar durch die gesamte Menschheitsgeschichte.

Keramik, Porzellan, Holzschnittkunst, Bildhauerkunst, Schmiedekunst, alle erdenklichen kunsthandwerklichen Zeugnisse des Lebens der Menschen von den Anfängen bis heute – wahre Meisterleistungen, pittoresk zusammengestellte Interieurs der einzelnen Stilepochen in Zimmernachbildungen, Kleidungsstücke, Lampen, elektrische Geräte seit ihrer Erfindung, Spielzeug – so vieles gab es zu entdecken und zu bestaunen.

Wir vergaßen die Zeit, so dass wir durch die letzten 100 Jahre bis zur Jetztzeit fast durch die Ausstellung rennen mussten.

Auch das Mittagessen musste leider im Laufen eingenommen werden. Dafür entschädigte der Blick auf das neue Universitätsgebäude mit der nachempfundenen Universitätskirche, die wir auf dem Weg zum Hauptbahnhof passierten. Walter Ulbricht hatte die alte Universitätskirche sprengen lassen …

Mit Straßenbahn fuhren wir nun durch eines der in der Gründerzeit erbauten Villenviertel Leipzigs, unserem nächsten Ziel entgegen: dem Museum für Druckkunst in der Nonnenstraße.

Uns erwarteten Mitarbeiter, die uns im Workshop „Letterpress“ in die Geheimnisse der „Schwarzen Kunst“ einweihen wollten und Druckereiarbeitsplätze, an die wir uns nach einer kurzen Erklärung der Arbeitsgeräte und der Schrittfolge beim Setzen von Texten voller Enthusiasmus begaben.

Jeder hatte seinen kurzen Text vor sich auf den Setzkasten gelegt und den Setzwinkel eingehängt. Aber schon tauchten die ersten Unsicherheiten auf und das schlechte Gedächtnis rächte sich: Sollten die Buchstaben auf dem Kopf stehend gesetzt werden? Sollte man die Zeile von links oder von rechts im Winkelhaken beginnend setzen? Welche Leerzeichen sollte man nutzen? Wie sieht ein „b“ seitenverkehrt und auf dem Kopf stehend aus? Ist es vielleicht doch ein“q“? Wozu sind noch einmal Ligaturen und Signaturen an den Lettern?

Wir fuchsten uns ein, halfen uns gegenseitig, und jeder konnte seinen Text auf der Andruckpresse drucken lassen: Wie es sich für Druckkunst gehört, natürlich in einer (kleinen) Auflage. Die farb- und druckfrischen Texte kamen in das Trocknerregal, und wir hatten Zeit, das Museum zu erkunden.

Da gab es wieder zu sehen, zu staunen und zu probieren: Druckmaschinen aus fünf Jahrhunderten, von rein handbetriebenen über halbmechanische, vollmechanische und elektrische. Verschiedene Tiegelpressen luden zum Ausprobieren und Drucken von Postkarten ein. Es ist phänomenal, wie die Farbwalzen über den Tiegel laufen und neue Farbe aufnehmen, während gleichzeitig der Druckstock abgedruckt wird und wie dann die Farbwalzen wieder über den Druckstock rollen, wenn der Hebel zurückgelegt wird.

Künstlerische druckgrafische Verfahren und Techniken, wie z.B. der Holzstich (Hochdruck), die Radierung (Tiefdruck), die Lithographie (Flachdruck), der Siebdruck (Durchdruck) werden im Museum anschaulich gezeigt, aber auch der einzige Lichtdruckarbeitsplatz Deutschlands (einer von nur dreien insgesamt in Europa), Offsetdruckmaschinen und vieles mehr sind zu sehen.

Eine Sonderausstellung zu Künstlerbüchern galt es in der obersten Etage zu erkunden. Wir gingen über knarrende Dielen, durch quietschende Türen und stiegen treppauf treppab durch das mehr als 100 Jahre alte Druckfabrikgebäude, das das Museum beherbergt.

Wir mussten in die Setzerwerkstatt zurück, denn die Lettern wollten wieder einsortiert – zurückgesetzt – werden. Wir gaben uns Mühe, keine „Fische“, so heißen falsch einsortierte Lettern, zu hinterlassen.

Unsere gedruckten Textseiten waren inzwischen trocken genug zum Transportieren. In der großen Mappe, mit Seidenpapieren und Zeitungspapier zwischen den Blättern, waren die Frischdrucke gut aufgehoben.

Nach drei Stunden kurzweiligen Aufenthalts, mit Ergebnissen Schwarz auf Weiß, brachte uns die Straßenbahn Nr.1 wieder zum Hauptbahnhof und der Zug –  diesmal mit interessantem Umstieg in Falkenberg – nach Jessen. Während der Heimfahrt konnten wir den imposanten Sonnenuntergang beobachten.

Nächstes KULToUR-Ziel: Dresden.