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KULToUR Nr.3: D – wie Dresden

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In unserem KULToUR-Alphabet wäre jetzt erst einmal das „C“ an der Reihe. Es könnte mit „charismatischem Dresden“ ergänzt werden. Oder mit „Christstollen“, der in Dresden auch Striezel heißt. Oder mit „Canaletto“, der Bernardo Bellotto hieß und Canaletto genannt wurde (1721 oder 1722 – 1780), aus Venedig stammte und wirklichkeitsgetreue Stadtansichten – Veduten – italienischer Städte, Dresdens, Wiens und Warschaus malte. Unter anderem wissen wir dank seiner gemalten Dresdener Stadtansichten, wie es im 18. Jahrhundert im Elbflorenz aussah. Eine Ansicht über den Elbbogen bei Dresden hinweg mit der Stadtsilhouette heißt immer noch „Canalettoblick“. Besucht werden sollte in der Hauptsache an diesem Samstag, dem 26. November 2022, das Hygienemuseum. Hygienemuseum: das klingt erst einmal sehr sperrig, belehrend, abschreckend – oberlehrerhaft. Man sieht förmlich den erhobenen Zeigefinger vor sich, hört den dozierenden Ton und liegt mit seinen Assoziationen gar nicht daneben: Das Museum wurde 1912 mit der ersten Hygieneausstellung als „Volksbildungsstätte für Gesundheitspflege“ gegründet. Das war zu dieser Zeit  auch dringend nötig, um z.B. der Bevölkerung das Wissen über Krankheiten, deren Übertragung und auch deren Verhinderungsmöglichkeiten – z.B. durch das Einhalten von hygienischen Grundregeln –  anschaulich zu vermitteln. Allerdings waren die Arbeits- und Lebensbedingungen von Arbeitern, also dem Großteil der damaligen Bevölkerung, der Gesundheit nicht förderlich mit dem Hausen in engen schmutzigen Mietskasernen, 12-Stunden-Arbeitstagen ohne Arbeitsschutzmaßnahmen u.s.w.
Das jetzige Gebäude des Museums wurde 1930 eingeweiht – wieder mit einer Hygieneausstellung, der zweiten. Während der Zeit der nationalsozialistischen Terrorherrschaft stand auch das Hygienemuseum im Dienst dieser Regierung, was sich z.B. an den „Rasseforschungen“ zeigt, die wissenschaftlich und genetisch belegen sollten, dass es „Herrenmenschen“, die sich gezielt vermehren sollten, z.B. in den „Lebensbornanstalten“, und „Untermenschen“ gäbe, welche es planvoll zu vernichten galt, z.B. durch den Holocaust, die „Euthanasie“ in Bernburg u.a.  Allein dort wurden etwa 14000 Menschen, die von den Nazi-Ärzten, von denen sehr viele nach dem 2. Weltkrieg weiter praktizierten, als „unwertes“ Leben eingestuft worden waren, per Giftspritze, durch Gas oder durch Mangelernährung und Dehydrierung von Krankenschwestern, Pflegern und Ärzt*innen getötet. Insgesamt gab es sechs solcher „Anstalten“.

In der DDR wurde das Hygienemuseum weiter betrieben, und z.B. die „Gläserne Frau“ war ein Besuchermagnet. Heute kann ein Teil der historischen Ausstellungen mit entsprechenden Begleitinformationen zum jeweiligen historischen Kontext in der Dauerausstellung besichtigt werden. Diese wurde im Laufe der Zeit natürlich ergänzt und bietet ein breites Spektrum an Themen. Zur Genetik, zur Anatomie, zur Hygienik, zur Pharmazie, zur Motorik des Menschen, zur Psychologie, aber auch zur Geschichte der Kosmetik findet man zahlreiche Ausstellungsstücke in klassischen Vitrinen und Schubläden in Schrift, Bild und als Modell, Tablets kann man zur Informationsbeschaffung nutzen, und viele Stationen laden zum Experimentieren, Spielen, Testen ein. Dieses Konzept findet man in der Kinder-Ausstellung natürlich noch ausgeweitet und auch Erwachsene werden dann hemmungslos wieder neugierig, probieren an Riech-, Tast-, Hör-, Seh-, Spielstationen, wenn das Museumspersonal nicht hinschaut, haben jede Menge Spaß, und man hört nicht nur Kinder erstaunt „HUCH“„ „AH“, AHA“, „ACH SO“, OH“ rufen und lachen. Wissen wird hier spielerisch vermittelt.

Besonders interessant für uns, 12 Schüler*innen, Herrn Letz, Frau Pahlow und drei weitere Begleitpersonen, war dieses Mal die Sonderausstellung „FAKES“, die noch bis März 2023 zu sehen, nein, zu erleben ist. Man darf nicht einfach so in die Ausstellung, die „AMT FÜR DIE GANZE WAHRHEIT“ benannt ist. Zuerst muss man ein Pförtnerhäuschen passieren, erhält dort nach einer Belehrung, dass man sich mit Besuch des AMTES f.d.g.W. verpflichtet, immer die Wahrheit zu sagen, einen Passierschein, der jeweils nach Besuch jeder Abteilung am entsprechenden gelben Stempelkasten abgestempelt werden muss und wartet auf Einlass. Dieser wird durch einen weiteren „Pförtner“ gewährt, wenn der vorangegangene Einführungsfilm (neun Minuten kurz-weilig) abgelaufen ist und nun für die neuen Besucher abgespielt werden kann. Dazu betritt man einen relativ kleinen dunklen Raum, stellt sich an die Rückwand und schaut auf die gegenüberliegende Leinwand. Man wird durch den Mitarbeiter im Video gebeten, bei der absoluten Wahrheitsfindung zu helfen. Man hört Statistiken (aber: „Glaube nie einer Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast.“) und Informationen und Zweifel und Bedenken über Lügen und Wahrheit, muss Fragen zum Thema „Wahrheit und Lüge“ beantworten, indem man jeweils auf die rechte oder linke Seite des Raumes geht, und jetzt erschließt sich auch der Sinn der breiten weißen durch den Raum verlaufenden Linie. Man bekommt annähernd einen Überblick über die vielen Facetten von Wahrheit und Lüge.

Erst dann, nochmals die Belehrung „Und denken Sie daran: Die Wahrheit braucht Sie!“ hörend, darf man diesen Raum verlassen und – sich wundern. Die ersten sichtbaren gelben  Abteilungstüren sind verschlossen. Es hängen Schilder daran, wie z.B. an der Tür zum ARCHIV FÜR UNVERRÜCKBARE WAHRHEITEN „Personal hat keine Lust zu arbeiten. Archiv bleibt geschlossen.“ oder an der zur ABTEILUNG FÜR BLÖDE AUSREDEN „Wegen Wasserschaden geschlossen“ oder an der zum ARCHIV ECHTER AUSSERIRDISCHER  SPRACHEN (ANGRFORRETSY – ZPPRGTT) „Geschlossen wegen Entführung des Personals durch Aliens“ u.a. Zu den frei zugänglichen Abteilungen gibt es keine Türen, sondern nur Durchlässe. Vor jeder Abteilung gibt es eine Videobotschaft des zuständigen Abteilungsleiters oder der Abteilungsleiterin, welche/r vom selben Schauspieler verkörpert wird wie schon der Mitarbeiter im Einführungsvideo. Erstaunlich, in wie viele Rollen ein Mensch durch Maske, Perücke, Kleidung, Mimik, Gestik, Raum und Sprache schlüpfen kann. Nach dem aufmerksamen Anhören und Sehen, wenn man möchte, in Dauerschleife, kann man die einzelnen Abteilungen in beliebiger Reihenfolge – denn es gibt an einigen Stationen Besucherandrang –  „abarbeiten“. Wer möchte denn nicht gern seine Lehrerin oder seinen Freund auf einen Befragungsstuhl, der wie ein alter Zahnarztstuhl aussieht (!) , setzen lassen, an den Lügendetektor anschließen und ihr / ihm heikle Fragen stellen, deren wahrheitsgetreue oder gelogene Beantwortung mit lautem Tröten und Leuchten einer roten oder grünen Rundumleuchte hör- und sichtbar gemacht wird, auch für die anderen Besucher der Ausstellung. Zu persönlich sollte man also lieber nicht werden. In der Paketstation können phantasievoll beschriftete Pakete zum Prüftisch getragen, die Paketnummer gescannt, und dann wird der lügenproblematische Inhalt  akustisch und / oder in einem Kurztext am Bildschirm offenbart. Da geht es um kleine und große Lügen, z.B. eine vergessene Verabredung, einen vor der Ehefrau versteckten Ring für die Geliebte, Lügen in der Wissenschaft oder in der Politik, Verheimlichung einer Diagnose, Schutzbehauptungen u.a. aus unserem Zusammenleben in der Gesellschaft stammende wirklich stattgehabte Begebenheiten. Man darf auf einer Skala den Grad seiner Empörung oder seines Verständnisses angeben und dann in einem Balkendiagramm nachsehen, wie die anderen Besucher sich dazu positionierten.

In anderen Abteilungen wird Produktfälschung entllarvt, man lernt interaktiv, wie man die Seriosität von Behauptungen und Beiträgen im Internet durch Quellenrecherche prüfen kann, die Geschichte der gedruckten Lügen wird sehr anschaulich und übersichtlich gezeigt, Bildfälschungen werden untersucht und klassifiziert, es werden sehr abschreckende und martialische Werkzeuge, Geräte, Chemikalien gezeigt, die früher helfen sollten, Menschen die Wahrheit sagen zu lassen, man kann ein großes Wahrheits-Würfelspiel auf dem Fußboden mit sich selbst als Spielfigur spielen, der Wahrheitsgehalt von Märchen wird bildhaft dargestellt, Manipulationsmöglichkeiten an Bildern (Fotografien, Videos) sieht man ebenso wie auch Manipulationsmöglichkeiten durch „Nachrichtendienste“ wie Twitter & Co. Und noch viel mehr kann man erkunden.

Statt unserer geplanten zwei Stunden waren wir drei und eine halbe Stunde im Museum und mussten danach in der „Museumsküche“ nach der vielen geistigen Nahrung auch ganz profanes Mittagessen zu uns nehmen, um uns anschließend auf den Weg zum Striezelmarkt auf dem Dresdener Altmarkt machen zu können.

Dort im großen Gedränge fanden einige Exkursionsteilnehmer noch kleine Mitbringsel für ihre Familie, sodass wir zufrieden und gesättigt gegen 16.30 Uhr zum Bahnhof laufen konnten.

Der Zug ab Dresden fuhr – und auch pünktlich, der ab Elsterwerda-Biehla nach Falkenberg ebenso, aber schon im Zug nach E.-B. konnten wir in den Bahnnachrichten lesen, dass der Zug ab Falkenberg nach Jessen ausfiele. O Schreck. 17 Menschen, die am Samstagabend nach Hause wollten. Der durch die Bahn als Verbindung ab Linda angegebene Rufbus fuhr nicht: „Wir haben gar kein Fahrzeug.“ (Rufbuszentralenmitarbeiter) Drei unserer Mitreisenden entschieden sich, bis nach Torgau in dem Zug weiterzufahren und sich von dort von einem Angehörigen mit dem PKW nach Annaburg abholen zu lassen. Da eine Erziehungsberechtigte in dieser Kleingruppe dabei war, konnte das zum Glück so gehandhabt werden. Die Restgruppe mit 14 Personen fuhr zuerst planmäßig nach Falkenberg. Wir hatten in Falkenberg mehr als eine Stunde Zeit, um von dort mit dem nächstmöglichen Zug nach Holzdorf zu kommen. Bahnhof Falkenberg am Samstag Abend: Kein Cafe o.ä. Keine Unterstellmöglichkeit. Keine Toiletten. Jugendliche mit ihren Mopeds auf den Bahnsteigen. Nicht schön. Gut, dass wir in einer großen Gruppe waren. Die Zeit konnten wir durch organisierendes Telefonieren vertreiben, das Frieren durch Treppensteigen kreuz und quer auf dem Bahnkreuz Falkenberg. Wir wissen jetzt auch, wie man zu welchem Bahnsteig am schnellsten kommt, was mit dem ursprünglichen Bahnhofsgebäude Falkenbergs aus der Gründerzeit passierte und dass es zum Bahnsteig 4 keinen Aufzug gibt. Ein Lokführer, der mit seinem Zug sehr lange auf dem Bahnhof stand, wollte uns auch nicht nach Jessen fahren, sodass wir dann wirklich erst nach über einer Stunde aber wenigstens nach Holzdorf fahren konnten. Drei Schüler*innen hatten dankenswerter- und glücklicherweise ihre Eltern angerufen, die dann dorthin kamen und alle Schüler*innen mitnahmen. Die erwachsenen Begleitpersonen wurden von einem Verwandten von Holzdorf nach Jessen gefahren, und alle Teilnehmenden kamen doch noch, zwar später, aber gut zu Hause an.

Unser Dank gilt an dieser Stelle den Schüler*innen, auf die wir uns jederzeit verlassen konnten, die tatkräftig Lösungen fanden, besonders aber auch den Eltern, die sich spät abends noch ins Auto setzten und mithalfen, alle Teilnehmenden gut nach Hause zu bringen.

Und so wird trotz des unschönen Zugausfalls doch kein C – wie Chaos in unserem Gedächtnis bleiben.